Donnerstag, 6. November 2008

Beauftragte/r zur 'Bekämpfung des Antisemitismus' oder zur 'Einhaltung der Menschenrechte' ?

Es geht um die Verteidigung der Menschenrechte - gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus
(auch anlässlich des Gedenkens an die Pogromnacht des 9. November 1938)

Wer ernsthaft meint: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" - muss für Respekt, Toleranz, Versöhnung, Einhaltung der Menschenrechte, gegen Rassismus, ethnische Vertreibung und Verfolgung, Kriegsvorbereitungen und Volksverhetzung streiten. Und nicht einhalten und auch keine Ausnahme machen.
Wer ernsthaft meint: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" - kann nicht gut heißen, was die Großmacht Amerika, ihre Neokonservativen, ihre Geheimdienste und die Armeeführung in der Bush Ära unter dem Hass-Slogan Kampf der 'Achse des Bösen' in der Welt angerichtet hat.
Wer ernsthaft meint: "Nie wieder Krieg, die wieder Faschismus" - kann auch nicht gut heißen, was in den Ländern und Kontinenten außerhalb der 'Reichen' an ethnischer Säuberung und ungeheurem Leid Menschen verschiedener Ethnien oder Religionen angetan wird - im Kern immer mit dem Ziel der Kontrolle des Goldes, des Geldes, der Rohstoffe.
Realität ist aber: Aufrüstung, Aufhetzung und Diskriminierung
Aber Aufrüstung, Waffenlieferungen, Aufhetzung - der Ursprung liegt in den reichen Ländern, sie verkaufen die Waffen, sie bemächtigen sich der Rohstoffe - also auch wir tragen Mitverantwortung am Raub, an der Ausplünderung, an der Zerstörung und den Vertreibungen.
Aber auch innerhalb unseres Landes herrscht Aufrüstung, Munitionslieferung und Aufhetzung; dazu braucht man nur die Tageszeitungen aufblättern. Feindbild Islam, Ausländer, Türken - das wird bedient, wann immer die Gelegenheit dazu günstig ist.
Zum Beispiel die schlechten Ergebnisse der Pisa Studie für Deutschlands Schulen: sie wird den Kinder mit sog. Migrationshintergrund angelastet, aber nicht das Schulsystem entsprechend verbessert; strukturelle Diskriminierung dagegen, beim Schulwesen, bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche, in der Ausbildung, am Arbeitsplatz, die zu den doppelt so hohen Zahlen zur Arbeitslosigkeit, Schulabbrechern, Ausbildungsabbruch und Jugendkriminalität bei diesen Jugendlichen im Vergleich zu der sog. Mehrheitsgesellschaft führen, sind nicht in den Schlagzeilen. Zwar gibt es dazu Untersuchungen in Hülle und Fülle, aber sie werden der Öffentlichkeit selten präsentiert und wenn, dann nur um zu zeigen, dass sie Opfer sind, nicht gleichwertige Mitglieder der Gesamtgesellschaft.
Dagegen aber werden wir unverzüglich informiert über jene tragischen Fälle von Familienehrenmord, Mädchenbeschneidung, Zwangsverheiratung und gleichzeitig werden diese zum Stereotyp über Muslime, Türken oder Araber geformt.
Die Kölner Aktion 'kein Kölsch, kein Taxi für Faschisten ..' ist eher die Ausnahme, und gegen den Moscheebau wird weiter gehetzt. Die gefeierte Duisburger Moscheeeröffnung lässt hoffen - die unerträgliche Hetze gegen den gewünschten Gebetsruf in Marxloh Ende der 90er, die diesem Ereignis vorausging wird allerdings verschwiegen; niemand schreibt: die Duisburger Politik hat gelernt aus einem schmerzlichen Prozess unglaublicher Fehlleistungen - andere Städte sollten sich ein Beispiel nehmen.
Noch immer fehlt in Deutschland der/die Beauftragte der Bundesregierung für die Einhaltung der Menschenrechte, für Gleichbehandlung, gleiche Chancen in Ausbildung und Beruf und im gesellschaftlichen Leben!
Ein/e Beauftragte der Bundesregierung für die Einhaltung der Menschenrechte? Dafür wurde seit Jahren vergebens gestritten. Ein Antidiskriminierungsgesetz wie es andere europäische Länder längst haben, hat die Bundesrepublik Deutschland wegen der EU Vereinheitlichung schließlich 2006 verabschieden müssen. Aber immer noch ist Deutschland zurück: einer Ausweitung des Diskriminierungsbegriffes auf soziale Herkunft und damit zum Beispiel auch auf den Zugang zur Wohnung (besonders schwer für Kinderreiche) widersetzen sich nur noch Deutschland und Tchechien.
Im sog. AGG Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (http://www.bund.de/nn_175498/DE/BuB/A-Z/A-wie-Ausbildung/Allgemeines-Gleichbehandlungsgesetz/Allgemeines-Gleichbehandlungsgesetz-knoten.html__nnn=true) wird die Gleichbehandlung gefordert gemäß
- Rasse und ethnischer Herkunft,
- Geschlecht
- Religion und Weltanschauung,
- Behinderung
- Alter (jedes Lebensalter)
- sexuelle Identität.
Eine/n Gleichbehandlungsbeauftragte/n, der/die über die Lage jährlich berichten müsste, hat die Bundesregierung bisher nicht vorgesehen - allerdings eine Integrationsbeauftragte, was die Richtung suggeriert: die Anderen, die Fremden sollen sich integrieren. Aber einen jährlichen Bericht über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, der etwa Arbeitgeber, Vermieter, Ausbilder und Verwaltungen benennen und auf bestehende Misstände hinweisen würde - auf den warten wir noch immer.

Die geplante Einsetzung einer/s Beauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus reicht gar nicht aus und birgt eine Falle
Was wir nun in nächster Zukunft bekommen sollen ist ein/e Beauftragte/r der Bundesregierung zur Bekämpfung des Antisemitismus. Das ist zwar löblich und in der bundesrepublikanischen Erbschaft aus der Nazizeit verständlich, aber doch kurios und merkwürdig: Sonderbehandlung schon wieder? Ausgrenzung und Anonymisierung der anderen schon wieder? Auch mit falschen Zitaten und Übersetzungen (zum Iran)? Warum haben wir nicht längst den/die seit langem von diversen Politikern geforderten Beauftragten zur Bekämpfung des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit oder um es positiv auszudrücken für die Einhaltung der Menschenrechte? Gibt es ansonsten demnächst einen Beauftragten zur Bekämpfung der Türkenfeindlichkeit, der Islamfeindlichkeit usw.?
Warum findet man bei denen die am lautesten einen Antisemitismusbeauftragten fordern gleichzeitig ein völlig irrationales islamophobes Verhalten und Argumentieren?
Diejenigen, die den Antisemitismusbeuaftrgaten so exklusiv fordern, müssen sich dieser Frage wohl stellen. Warum sind merkwürdigerweise darunter Menschen und Institutionen, bei denen man sich fragen muss, ob sie selbst die Ideen der Menschenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Gebot der Toleranz, der Wahrung der Würde eines jeden, der Toleranz und des Respekts überhaupt ernst genug nehmen.
Sie muten mit der aktuellen Kampgane eher wie Rattenfänger an, die Wohlmeinende auf ihre merkwürdige Bahn ziehen und damit ein für Deutschland bis zur Erpressung reichendes, wenn auch für jeden Einzelnen verständliches Schuldgefühl schamlos ausnutzen: Antifaschisten, Menschen, die gegen Krieg und atomare Aufrüstung eintreten, engagierte Künstler, Gewerkschafter, Mitglieder deutsch-israelischer Vereine und ähnliches mehr und die 'Freunde' Israels.

Der/die Antisemitismusbeauftragte soll vor allem Kritik an Israel abstrafen
Als Freunde und Verteidiger Israels überschreiten diese 'Rattenfänger' allerdings oftmals die Grenzen der Toleranz und der Wahrung der Würde Anderer.
Ein Henryk M. Broder wird geehrt und gefeiert und darf sich ungestraft folgendermaßen äußern, "Das Problem der Palästinenser ist nicht, dass sie vertrieben wurden, sondern dass sie nicht weit genug vertrieben wurden. Viele von ihnen leben in "Lagern" und können mit bloßem Auge dahin schauen, wo ihre Eltern und Großeltern mal gelebt haben". (spiegel-online am 08.05.09). Solche Leute führen Kampagnen gegen kritische Stimmen, die vor der anderen Seite dieses 'Gut-Menschentums' auf der angeblichen 'Achse der Guten' und bei 'Honestly Concerned' warnen. Ihr langfristiges Ziel ist es vor allem, mit dem Vorwurf des Antisemitismus jedwede Kritik an Israel unmöglich zu machen.

Wer aber ernsthaft meint: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" - der kann unmöglich für gut heißen, was der heutige jüdische Staat Israel im Nahen Osten repräsentiert:

- Verleitung zum Hass auf die Palästinenser, bestenfalls Ignoranz gegenüber ihnen in den Schulen und - - Anonymisierung der Palästinenser als 'Nicht Juden', Araber, (siehe z.B. Karte No. 6 'Bevölkerung und Raum' in israelichen Schulbüchern, in denen nicht einmal die arabischen Städte in Israel eingezeichnet sind wie Akka oder Nazareth, geschweige denn die 1967 besetzten Gebiete als palästinensische bezeichnet sind und die Städte ohne Namen nur als Flecken auszumachen sind. siehe: kibush.co.il/downloads/schoolbooks.doc)
- 'ethnocratic planning policy' und Diskriminierung der Palästinenser bei Sozialpolitik, Wohnungspolitik, Planungs- und Bodenpolitik (siehe bei Oren Yiftachel' über 'the dark side' israelischer Planung . www.geog.bgu.ac.il/members/yiftachel/abstracts.html - 13k )
- Ethnische Säuberung (siehe Ilan Pappes jüngste Veröffentlichung über den Beginn Israels)
- Mißachtung von Grenzen und Souveränität der palästinensischen Gebiete und der Nachbarländer (siehe erneut die Landarten in israelischen Schulbüchern, Okkupation der syrischen Golanhöhen)
- Führung von sog. 'Präventiv'-Kriegen (Übergriffe auf die 67er palästinensischen Gebiete, Ägypten, Syrien, Libanon)
- Illegaler Siedlungsbau (inzwischen mit über 400.000 Siedlern in der Westbank und dem palästinensischen Ost Jerusalem)
- Kolonisierung eines anderen Landes (Israelisierung des Jordantales, weiter Teile der West Bank mit nur Israelis zugängigen Straßenverbindungen und Siedlungsblöcken)
- Staatliche Hinrichtungen und Folterungen, Verhaftungen ohne Prozess (siehe Berichte der israelischen Rechtsanwältinnen Felicia Langer und Lea Tsemel)
- Einführung der Sippenhaftung (ganz Gaza wird als Geisel genommen)
- Mißachtung und Verletzung der Genfer Menschenrechtskonvention (wie die Kolonisierung besetzter Gebiete)
- Mißachtung von UN Beschlüssen (wie Forderungen nach Rückzug aus den Besetzten Gebieten einschließlich Ost Jerusalems)
- Besitz und Entwicklung von Atomwaffen (Vanunu ist Zeuge)



Wenn etwas aus der Pogromnacht 1938 zu lernen ist, dann 'Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus', das heißt auch Respekt und Toleranz gegenüber den Menschen anderer Herkunft, Ethnie. Religion oder Lebensweise, Versöhnung und Einhaltung der Menschenrechte, Eintreten gegen Rassismus, gegen ethnische Vertreibung und Verfolgung, gegen Kriegsvorbereitungen und Volksverhetzung.
Und diese Werte sind unteilbar und führen leider in der scheinheiligen bundesdeutschen Gesellschaft immer noch ein Schattendasein. Dies muss sich, um glaubwürdig zu sein ändern. Ändern in den Schulen, auf der Straße, in der Politik und den Medien. Die Bekämpfung von Antisemitismus wäre ein wichtiger Teil davon. Wer dies als einen exklusiven Kampf angehen will verharmlost nur, was der Kern der Rechtsentwicklung in Deutschland ist. Die Vergangenheit zu bewältigen erfordert eine andere Zukunft zu schaffen. Eine Zukunft in der alle die gleichen Rechte und Pflichten haben, und diese nicht unglaubwürdig als Waffe gegen Andersdenkende benutzt werden. Die gescheiterte militärische 'Demokratisierung Afghanistans und der Iraks zeigen, dass die aggressive Einmischung kein Weg ist, eine solche Zukunft zu verwirklichen.


Erich Fried
Nachtgebet
Vorbild in uns oder Nachbild das uns noch etwas bedeutet
Hilf uns daß wir nicht vorbeten oder nachbeten
die falschen Lehren der Elektronengehirne und ihrer Herren und Knechte
Wo das Unrecht größer wird als wir
Wo das Unrecht schneller wird als wir
Wo das Unrecht kräftiger wird als wir
Hilf uns nicht zu ermüden
Wo das Unrecht uns übertrifft an Kenntnissen und Mitteln
Wo das Unrecht uns übertrifft an Ausdauer und Erfolgen
Wo das Unrecht so groß wird daß wir klein werden
Bei diesem Anblick hilf uns nicht zu verzagen
Wo das Unrecht eindringt in uns in unsere Tage und Nächte
In unser Aufschrecken und unsere Träume
In unsere Hoffnungen und unsre Flüche
Hilf uns uns nicht zu vergessen
Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen des Rechts und der Macht
Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen des Wohlwollens und der Vernunft
Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen der Mäßigung und Erfahrung
Hilf uns nicht bitter zu werden
Und wenn wir doch verzagen hilf uns erkennen daß wir verzagen
Und wenn wir doch bitter werden hilf uns erkennen daß wir bitter werden
Und wenn wir uns krümmen vor Angst hilf uns wissen daß es die Angst ist
das Verzagen, die Bitterkeit und die Angst
Damit wir nicht verfallen dem Irrtum wir hätten eine neue Erleuchtung erfahren
Und den großen Ausweg gefunden oder den Weg nach innen
Und nur der hätte uns so verwandelt

Erich Fried starb a 22.11.1988